"Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" : Ein weiblicher John Wayne (2024)

Der Film "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" war einer der Favoriten bei den Golden Globes. Er handelt von Gewalt, Rassismus und einer kompromisslosen Kämpferin.

Von Christoph Schröder

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WieMahnmale ragen die drei Reklametafeln in die triste, vernebelte Landschaft. Halbverfallen sind sie und zu nichts mehr zu gebrauchen, irgendwo weit draußen, aneiner Straße, die niemand mehr benutzt. Doch das wird sich ändern. ThreeBillboards Outside Ebbing, Missouri heißt Martin McDonaghs neuer Film, mit demder irische Dramatiker und Regisseur auf der diesjährigen Golden-Globe-Verleihungüberraschend breitflächig abgeräumt hat: bester Film, bestes Drehbuch, besteHauptdarstellerin (Frances McDormand), bester Nebendarsteller (Sam Rockwell).

Schonin den ersten Minuten stellt sich die Frage: Ist es eine Komödie, ist es eineTragödie? Die klare Antwort: Es ist beides. Vor allem ist ThreeBillboards ein hinreißenderFilm. Ebbing, Missouri, scheint eine ganz normale Kleinstadt zu sein.Hauptstraße mit Geschäften; ein Andenkenladen, eine Schule. Und einPolizeiproblem. Und damit ist nicht der ganz normale strukturelle Rassismusgemeint, der offenbar auf der Polizeiwache herrscht und in dem tumben OfficerDixon (Sam Rockwell) eine prächtige Symbolfigur gefunden hat; einemMuttersöhnchen mit kleinem Hirn und schwer kontrollierbarer Aggressivität.

Doch darum geht es nicht, nicht in erster Linie. Es ist etwas passiert inEbbing, Missouri. Vor sieben Monaten wurde Angela, die Tochter von Mildred Hayes (Frances McDormand) unweit jener drei Werbetafeln und unweit ihreseigenen Hauses vergewaltigt und verbrannt. Sieben Monate, in denen die Polizeikeinerlei Hinweise auf den Täter gefunden hat. Eine DNA-Spur wurde zwargefunden, doch die ist keiner registrierten Person zuzuordnen.

Fast ein bisschen zu perfekt

Alsosteht Mildred eines Tages im Büro des Anzeigenverkäufers Red Welby (CalebLandry Jones) und mietet die drei Billboards, die seit dem Bau derUmgehungsstraße unbeachtet in der Gegend herumstehen. Darauf prangert Mildreddie ihrer Ansicht nach lasche Polizeiarbeit und namentlich die vermeintlicheUntätigkeit des Polizeichefs Bill Willoughby (Woody Harrelson) an. Damit setztsie – ganz bewusst – einen Mechanismus von Druck und Gegendruck in Gang. DieKleinstadt gerät in Aufruhr und inmitten des Tumults steht Mildred aufrecht, mitunbewegtem, harten Gesicht.

Allesan diesem Film hat einen doppelten Boden, kein Charakter ist eindimensionalgezeichnet; jeder hat seine Geschichte, die im Verlauf des Films zu einem malgrößeren, mal kleineren Schicksal wird. Und weil Three Billboards bis indie letzte Nebenrolle durchdacht und schlüssig besetzt ist, wird daraus ein so ungewöhnlicher Film. Ein Film, bei dem man sich hin und wieder fragt,ob er nicht ein wenig zu perfekt ist. So rasant läuft der Witz, so komisch undmanchmal slapstickhaft spielen sich die Figuren in ihren oft nur hingebelltenDialogen die Bälle hin und her. Ein echtes Pointenfeuerwerk. Aber jedes Mal,wenn der Gedanke aufkommt, dass es jetzt gerade etwas zu brillant wird, schlägt die Situation durch eine Geste, einen Gesichtsausdruck, eine neueWendung um in völlige Ironiefreiheit und zeigt uns die Charaktere nackt und bloß in ihrem ganzen Elend. Das ist Timing und Einfühlungsvermögen vom Feinsten.

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Esgeht nicht oder nur ganz nebenbei um die Aufklärung des Verbrechens. Mildred Hayes ist eine Kohlhaas-Figur. Ihr geht es um die weltliche Gerechtigkeit, diesie glaubt, nicht zu bekommen. Ihr Antrieb, und das macht sie zu einer sehrzeitgemäßen Figur, ist eine hinter ihren Augen flackernde Wut, die vom Gefühlder Machtlosigkeit gespeist wird. Sie glaubt nicht mehr an Institutionen, alsoschreitet sie selbst zur Tat. Ein weiblicher John Wayne, der jedem, der ihrblöd kommt, zwischen die Beine tritt, selbst wenn es sich um eine Frauhandelt.

Wenn es darauf ankommt, bleibt der Film ernst

Auf ihrem Feldzug allerdings isoliert sich Mildred zusehends. Dashat auch damit zu tun, dass der Polizeichef Willoughby in der Stadt äußerst beliebtist. Ein Typ, den die Leute mögen, kantig, in eleganter Uniform, einer vonihnen, der nicht alles so ganz genau nimmt, vor allem nicht den Rassismusseiner Untergebenen. Wenn er alle Rassisten in Ebbing aus dem Polizeidienstentfernen würde, so sagt er einmal, blieben nur noch drei übrig, "und diehassen Schwuchteln". Mildreds Attacke gegen ihn auf den Billboards findet er"nicht fair", und natürlich hat er Recht damit.

DassWilloughby wie Mildred selbst auch ein gebrochener Mensch ist, zeigt sichschnell; dass er weitaus schlauer war, als er scheint, wird sich spätererweisen. Und selbst die zweite Hauptfigur, Officer Dixon, ein Unsympath ersterGüte mit seinem bekloppten Kurzhaarschnitt und seiner lauernden Unberechenbarkeit,bekommt eine Entwicklung verpasst. Ist das glaubwürdig? Nein. Ist es politischkorrekt, einen Rassisten zum halben Sympathieträger auszubauen? Nein. Ist es unterhaltsam?Unbedingt. Der Klamauk schiebt sich immer wieder in den Vordergrund. Es gibteine Menge Witze über Zwergenwuchs oder über die dumpfbackige jugendlicheGespielin von Mildreds Ex-Mann. Aber wenn es darauf ankommt, bleibt der Film ernst. Martin McDonagh verkauft seine Figuren nicht an den Kurzzeiteffekt.Im Grunde hat er allen seiner Hauptdarsteller drei Denkmäler gesetzt; drei Plakatwände, die dadraußen an der Landstraße herumstehen.

"Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" : Ein weiblicher John Wayne (2024)

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